WDR Computerclub
Ballade vom deutschen Ingenieur in schwerer Zeit …
Am Samstag den 22.02.2003 läuft der legendäre „WDR-Computerclub“ zum letzten Mal. Als der
PC vielen Deutschen Teufelszeug war, hielten seine Moderatoren ihre
Lötkolben mutig in die Kamera
von Ulrich Clauss
Wir schreiben das Jahr 1981. Fast ganz Deutschland nördlich der
Mainlinie ist auf dem Weg in den Schatten eines schiefen Turms: Pisa
wird das deutsche Defizit 20 Jahre später heißen. Ganz Deutschland?
Sicher, die 68er-Generation hat den deutschen Nordwesten ziemlich
flächendeckend mit ihrer dogmatischen Fortschrittskritik infiziert –
aber es gibt eine Insel des Widerstands. Zwei wackere Kerle, zwei
Fernsehredakteure, zwei lötstarke Männer in ihrer flimmernden Kiste
nutzen die Gunst der Stunde und halten ihre Lötkolben ganz hoch, als
für Sonntagnachmittag eine Erweiterung der Sendezeit beim
Westdeutschen Rundfunk in Köln zur Debatte steht.
Das Dritte des WDR ist auf dem Weg zum Vollprogramm – nicht mehr lange
wird man nachmittags noch das Testbild senden. Und tatsächlich dürfen
Wolfgang Back und Wolfgang Rudolph, so heißen unsere Helden, nun
einmal in der Woche im Fernsehstudio das tun, was bis dahin in der
Einsamkeit ihres eigenen wie Tausender anderer Hobbykeller geschah:
Schaltungen löten, Chips verdrahten, Flip-Flops blinken lassen, sich
freuen, dass die neue digitale Technik funktioniert – und das alles
jetzt obendrein stolz wie Oskar in die Kamera halten. Der
„WDR-Computerclub“ war geboren.
Man muss sich die grellen Selbstblockaden jener Zeit vor Augen führen,
will man das revolutionäre (oder doch eher konterrevolutionäre?)
Potenzial jener so schlichten wie die technikliebenden Massen
ergreifenden Programmidee heute nachvollziehen. Komische Zeiten waren
das: Unter dem adornitischen Triumphgeheul der Sozialwissenschaften
werden die Lehrpläne entkanonisiert, werden Technikwissen und
Naturwissenschaft aus dem Klassenzimmer gejagt. Die Töchter und Söhne
der Täter rechnen mit einer Figur ab, die ihnen als Inkarnation des
Bösen erscheint – dem deutschen Ingenieur. Hat er nicht Auschwitz
gebaut? Ist nicht die technische Lösung die böseste aller denkbaren?
Unter diesem Verdacht wird wegkämpft, was auch der alten,
konservativen Pädagogenschaft nie ganz geheuer wurde. Linke
Entfremdungsrhetorik und altbackener Philologendünkel gegenüber der
neuen Medienwelt lassen ein ganzes Land den Epochenwandel verträumen.
Derweil schwappt in hohen Wellen die Medienrevolution unaufhaltsam
über den großen Teich, in Gestalt digitaler Mikroelektronik und
Kabelkanalvielfalt. Vereinzelt wird schon auf Apple-Computern getippt,
1983 kommt der IBM-Standard-PC heraus. Ein Kulturkampf tobt.
„Anti-Kabel-Gruppen“ agitieren in den Großstädten gegen den
„verkabelten Menschen“. Und das Privatfernsehen gilt als Counter
Intelligence der „verkohlten“ Republik. Unscharfe Ahnungen von der
Mächtigkeit der neuen Technologien schüren Ängste vor immer noch
größeren Brüdern. Man liest viel George Orwell und Aldous Huxley.
Kapital braucht Technik, Technik macht Krieg – so schnitzt sich der
Zeitgeist seine hölzernen Gewissheiten zurecht. Unsere beiden Helden
dagegen setzen auf ein ganz anderes Element: Silizium, der Stoff, aus
dem die neuen Zauberkästen gebacken werden. Und wenn sich die
Computerclubler am Samstag zum letzten Mal über ihre Schaltplatine
beugen, geht auch ein Kapitel Technikgeschichte zu Ende. Was haben die
nicht alles zusammengefummelt. Als Daten noch mit unförmigen, über
Telefonhörer gestülpten „Akkustik-Kopplern“ übertragen wurden,
sendeten sie Software über den Fernsehlautsprecher in die
„Datasetten“-Rekorder des Publikums. „Hard-Bit-Rock“ nennen sie das
minutenlange, wilde Gepiepse – eine technische Weltpremiere. Später
klauen sie sogar dem Fernsehbild ein paar Zeilen für ihre
Software-Botschaften – ein Sakrileg für jeden öffentlich-rechtlichen
Sendetechniker. Eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen nimmt ihren Lauf,
es wird die älteste und erfolgreichste Computershow der
Fernsehgeschichte weltweit. Im Kumpelton eines Jugendwarts reportieren
Wolfgang & Wolfgang für ihren vieltausendköpfigen Transistorsportclub
aus der neuen Welt der Bits und Bytes. Wer je auf Modelleisenbahnreise
ging ins Jungentraumwandlerland der Elektrotechnik, wer je das Ohr in
den Äther reckte mit dem ersten selbst gebastelten Radio – der
„WDR-Computerclub“ holt sie alle ab und sorgt für Anschluss an die
digitale Moderne. Die beiden Wolfgangs mit ihren Lötorgien sind in
ihrer herzlich unschuldigen Neugier nie theoriefähig gewesen, sondern
lebende Legenden der experimentellen Informatik, mit bis an die
Unsinnsgrenze verstiegenen Basteleien. Sie waren sich in einer
einzigen Botschaft selbst genug: Alles, was funktioniert, macht Spaß.
Weiterführende Schaltpläne juckten sie nicht. Hätten die doch auf
gedankliche Felder geführt, die besetzt waren von der politisierten
Intelligenz jener Zeit und ihrer modernitätsverweigernden
Deutungshoheit. Heute hadern eben diese Emanzipationspädagogen mit den
Defiziten ihrer Lebensleistung, dem „digital divide“. So wird der
gesellschaftliche Riss genannt zwischen denen, die Netzzugang haben,
und jenen, die ihn sich haben versperren oder ausreden lassen.
Aus der Gruselgeschichte vom „verkabelten Menschen“ und dem
abgründigen Misstrauen gegen technische Lösungen ist längst die
Erweckungssaga vom „Netz-Bürger“ in der schönen digitalen Welt
geworden. Selten genug spiegeln sich die Irrtümer einer Gesellschaft
so kristallklar in der Umdeutung ihrer Sprachbilder. Die riesige
Zuschauerfamilie des „WDR-Computerclubs“ reagiert mit Wehmut auf den
(unfreiwilligen) Abtritt der verdienten Datentrapper. Vielen bricht
ein Stück Fernsehheimat weg. Denn der Club bediente bei Jung und Alt
ein futuristisches Fernweh, wie es besonders Kurzwellenamateurfunker
gut kennen. Er bot Zukunftstechnik als Buddelschiff hinterm
TV-Mattscheibenglas. Kann sein, dass die beiden moderierenden
Lötkolben zusammen mit ihrem Publikum immer älter und schließlich für
zielgruppenorientiertes Programmdesign zu alt geworden sind. Sicher
haben die explodierten Auflagen der Computerfachzeitschriften solche
Bastelsendungen überflüssig gemacht. So frisst nun die
Computerrevolution ihre guten Onkels. Sie haben ausgedient als
Fortschrittsbegleiter mit ihren chipgesteuerten Leuchtdioden, die
Orientierung boten in dunkler Zeit, als die „German Angst“ im
Schulhaus, im grünen Wald und auf der Heide den
Totalitarismusvorbehalt gegen all die mikroprozessorgesteuerte
„Großtechnologie“ in Stellung brachte. Good bye „Computerclub“, du
Asyl all der verlachten „Technik-Freaks“, als die sich junge
Ingenieursbegabungen lange tarnen mussten, wollten sie nicht als
„Fachidioten“ gelten, bloß weil sie eine serielle Schnittstelle
programmieren konnten – im Unterschied zu ihren dummen Kritikern.
Und dass es in diesem Asylum bis zum letzten Tag zuging wie im
Taubenschlag, beweist doch, dass – auch wenn jede Form ihre begrenzte
Zeit hat – dem „WDR-Computerclub“ ein generationenübergreifender
Medienstreich gelang, eine List der Technikgeschichte: die
öffentlich-heimliche Selbsterzählung des technischen Fortschritts am
elektronischen Lagerfeuer.
Artikel erschienen am 21. Feb 2003
© WELT.de 1995 – 2003
Vollständige Url des Artikels: https://www.welt.de/data/2003/02/21/44001.html